Online-Magazin des Regnum Christi und der Legionäre Christi

Wozu sind wir eigentlich da?

Ich muss noch viel lernen. Deshalb lese ich gerne. Einer meiner bevorzugten Autoren, wenn es um Themen wie Organisation, Teams, Projekte usw. geht, ist Patrick Lencioni. Amerikaner. Katholisch. Praktisch. Zahlreiche seiner Veröffentlichungen sind Bestseller („Tod durch Meetings“, „Der ideale Teamplayer“, „Die fünf Dysfunktionen eines Teams“)!

Eines der Bücher, dessen Inhalt ich am meisten in mein eigenes Leben integriert habe, heißt: „Der Vorteil – warum nur vitale und robuste Unternehmen in Führung gehen.“[1] Darin beschreibt und erklärt er, wie eine Organisation oder eine Gemeinde oder die Kirche oder ein Unternehmen vital und robust werden können. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung zielt er auf zwei Grundelemente, die unabdingbar über Erfolg und Zukunft entscheiden:

1) Es braucht ein geeintes Leitungsteam.

2) Es braucht Klarheit über ihre Ziele, die kommuniziert und durch Systeme verankert werden muss.

Wie gut würden uns diese Elemente auch in der momentanen Situation in der katholischen Kirche tun!  Gerade heute, wo wir auch in Deutschland spüren: „So kann es nicht weitergehen. Es muss sich etwas ändern.“ Aber wie soll es denn weitergehen? Was soll sich denn ändern?

Klarheit gibt Kraft

Die erste Frage, auf deren Beantwortung Lencioni drängt, um in einer Organisation Vitalität zu ermöglichen, lautet „Wozu seid ihr eigentlich da?“. Mit anderen Worten: „Warum gibt es euch?“

„Denn“, so Lencioni, „wenn die Leitungsebene diese Frage einfach und eindeutig beantworten kann und sich darin einig ist, dann hat die Organisation ausgezeichnete Chancen auf eine vitale Zukunft.“ Ich habe diese Übung des Öfteren gemacht. Mit verschiedenen Arbeits- und Evangelisierungs- und Projektteams. Sie gibt Richtung und Einheit, Kraft und Motivation.

Wieder einmal scheint das „Schiff Petri“ im Sturm. Doch Jesus Christus, der Herr, verlässt seine Kirche nicht.  – „Heute indes stelle ich gemeinsam mit euch schmerzlich die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens fest mit all dem, was dies nicht nur auf geistlicher, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene einschließt. Diese Situation lässt sich sichtbar feststellen, wie dies bereits Benedikt XVI. aufgezeigt hat, nicht nur «im Osten, wie wir wissen, wo ein Großteil der Bevölkerung nicht getauft ist und keinerlei Kontakt zur Kirche hat und oft Christus überhaupt nicht kennt», sondern sogar in sogenannten «traditionell katholischen Gebieten mit einem drastischen Rückgang der Besucher der Sonntagsmesse sowie beim Empfang der Sakramente»“, schreibt Papst Franziskus in seinem Schreiben an das pilgernde Volk in Deutschland angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit (veröffentlich am 29. Juni 2019). Darin warnt der Papst auch vor der Versuchung, nur „reorganisieren“ zu wollen, vor einem „Zurechtflicken“, „um so das kirchliche Leben zu ordnen und zu glätten, indem man es der derzeitigen Logik oder jener einer bestimmten Gruppe anpasst.“ Stattdessen ginge es darum, „den Primat der Evangelisierung zurückzugewinnen, um die Zukunft mit Vertrauen und Hoffnung in den Blick zu nehmen, denn «die Kirche, Trägerin der Evangelisierung, beginnt damit, sich selbst zu evangelisieren“, betont Franziskus.

Kirche, wozu bist du eigentlich da?

Nun, wozu ist die Kirche eigentlich da? Lencioni würde fragen: „Was würde der Welt fehlen, wenn es die Kirche nicht gäbe?“ Dazu solle eine Organisation ihre Gründerväter und/oder -mütter befragen. Das wäre eine Frage, die zu stellen sich auch zu Beginn des „synodalen Weges“ lohnen könnte. Lencioni lädt ein, das zugrundeliegende Ideal der Organisation zu suchen und dabei zunächst keine allzu praktische Antwort zu geben. Bei den ersten Antworten kann man immer wieder „aber warum“ fragen. So gelangt man fortschreitend zum „Fundament“. Wenn es kein weiteres „Warum“ gibt, sind wir beim Existenzgrund angekommen.

„Jesus, warum hast du die Kirche eigentlich gegründet? Was fehlte denn vorher?“ Im Matthäus-Evangelium fand ich Antworten, die man folgendermaßen zusammenfassen kann:

Er möchte die „Sünder“ wieder zum Vater führen.

Als „der Hirt seines Volkes“ bringt er „große Freude“, denn „er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“

Er ehrt Gott und zeigt uns, wie wir ihn ehren können.

„Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde…“ und er will, dass wir den „Vater im Himmel preisen.“ Die Menschen sollen „eure guten Taten sehen und den Vater im Himmel preisen.“

Er baut sein Reich auf, indem er verkündet und die Folgen der Sünde zunichtemacht.

Sein „Reich ist nicht von dieser Welt.“ Aber trotzdem „heilte er alle Krankheiten und Leiden.“ „Er befreite alle, die unter der Macht des Teufels standen.“

Er erlöst alle Menschen und öffnet den Zugang zum ewigen Leben.

Er lässt sich töten. „Ich sah den Satan wie einen Blitz auf die Erde fallen.“ Er ersteht vom Tod auf und lebt wieder – er lebt ewig.

Er gründet eine Glaubensgemeinschaft und überträgt ihr seine Aufgaben.

„Du bist Petrus… Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben… Was ihr auf Erden bindet, wird auch im Himmel gebunden sein.“ „Er sandte 72 voraus in die Städte.“ „Die zwölf nannte er Apostel.“

Er sendet seine Apostel und Jünger, zu verkündigen und zu wirken (was er bereits verkündigt und was er getan hat). „Er gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.“  Er sendet den Heiligen Geist, um den wir beten sollen. Denn der Geist führt in die ganze Wahrheit, der Geist leitet und stärkt.

Christus ist demnach zu uns Menschen gekommen, um seinen Vater im Himmel zu ehren und ihn und die Menschen wieder zusammen zu führen. Er nimmt dem Kampf mit dem Feind dieser Beziehung auf, besiegt ihn und ermöglicht den Menschen den Weg zu Gott. Als Hilfe sendet er den Heiligen Geist und erfüllt die Menschen mit großer Freude. Benedikt XVI. schrieb dazu: „Was hat Christus der Welt denn Neues gebracht? Er hat nichts Neues gebracht. Er hat GOTT gebracht.“[2] Und das soll die Kirche weiterführen.

Wenn wir also, um Richtung und Klarheit für eine noch unklare Zukunft zu geben, die Frage „Wozu ist die Kirche da?“ vorläufig wollen, könnten wir sagen:

Die Kirche ist vorrangig dafür da, die Mission Jesu weiterzuführen, damit die Menschen wieder zu Gott finden und – durch ein entsprechendes Leben – nach ihrem Tod bei ihm im Himmel ewig glücklich sein werden.

„Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20).

Sind sich darin alle einig? Ich würde das aufgrund meiner Erfahrung eher mit Nein beantworten. Ich habe Umfragen gemacht – meist auf der Straße, bei normalen Menschen. Viele erzählten, dass sie persönlich „gute Erfahrungen“ damit gemacht haben, was Kirche „ihnen gibt“, was „sie leistet“, für welche menschlichen Werte sie steht. Doch kaum drei Prozent der Befragten sprachen dabei von Gott. Könnte es sein, dass viele heute die Kirche nur noch als eine Art „sozialen Dienstleister“ sehen? Doch was ist mit Gott? Mit der persönlichen Beziehung zu ihm? Wird er in und durch das, was die Kirche tut, wahrgenommen, erkannt, berührt, im Leben der Menschen relevant, zum Du, zum Freund, zu meinem Erlöser? Und wie viel Erlösungskraft und -wirkung trauen wir ihm zu? Lassen wir zu? Darf er an unserem Leben rütteln? Wieweit lassen wir unsere Gewohnheiten, Überzeu­gun­gen, Vorurteile, Meinungen von Gott noch infrage stellen? Welche Rolle spielt er bei Fra­gen und Entscheidungen in unserem Leben?

Mein Wunsch für die Ausrichtung der Kirche in die Zukunft lautet deshalb: Klarheit, Klarheit, Klarheit. Und dann Fokussierung auf das Wesentliche. Wesentliches tun, Unwesentliches nicht (mehr) tun. Hauptkennzeichen der Kirche ist die Berührbarkeit des dreifaltigen Gottes, der durch diese Glaubensgemeinschaft und Organisation zu den Menschen dieser Welt kommen möchte. Einheit ist wichtig. Aber Einheit ist nur möglich, wenn Klarheit herrscht. Und die herrscht nur, wenn man sie gemeinsam errungen hat und sich von Christus (dem „Gründervater“) sagen lässt: „Was würde der Welt fehlen, wenn es die Kirche nicht gäbe?“:

Ihr würde der einfache Zugang zu Gott fehlen – und das ewige Leben.

[1] Patrick Lencioni, „Der Vorteil – Warum nur vitale und robuste Unternehmen in Führung gehen“, 2013, Wiley-VCH Verlag.

[2] Siehe auch Benedikt XVI., in „Jesus von Nazareth: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung“: „Da steht nun freilich die große Frage auf, die uns durch dieses ganze Buch hindurch begleiten wird: Aber was hat Jesus dann eigentlich gebracht, wenn er nicht den Weltfrieden, nicht den Wohlstand für alle, nicht die bessere Welt gebracht hat? Was hat er gebracht? Die Antwort lautet ganz einfach: Gott… Er hat Gott gebracht: Nun kennen wir sein Antlitz, nun können wir ihn anrufen. Nun kennen wir den Weg, den wir als Menschen in dieser Welt zu nehmen haben. Jesus hat Gott gebracht und damit die Wahrheit über unser Wohin und Woher.“