Online-Magazin des Regnum Christi und der Legionäre Christi

„Siehe, ich mache alles neu!“ (Off 21,5)

Niemand weiß heute genau, wie „Neuevangelisierung“ geht. Es ist eine Lernaufgabe. Einige von uns haben mehr Erfahrung, die meisten weniger. Es geht um kirchenkulturelle Wandel, radikale Neuausrichtungen.

Im letzten L-Magazin haben wir begonnen, von anderen zu lernen, die mehr Erfahrung haben und erfolgreich sind. Sechs Prinzipien sind fast jeder positiv wachsenden Gemeinde zu eigen. Die ersten drei haben wir bereits beleuchtet, die anderen sind heute dran:

  1. Zielgruppe: Menschen, die nicht (mehr) zur Kirche gehen.
  2. Ansprache und Ausrichtung: Männer im Berufsleben.
  3. Predigt: Relevant, lebensnah, konkret und zielgruppenorientiert.
  4. Musik: Qualitativ hochwertige Musik, die sich an der Zielgruppe orientiert.
  5. Umgang: Freudige und herzliche Willkommenskultur.
  6. Verbindlichkeit und Wachsen im Glauben: Arbeit mit Kleingruppen.

Ich fühl´ mich (nicht) willkommen

Im Herbst letzten Jahres war ich zu einer kirchlichen Veranstaltung eingeladen: Einweihung eines tollen Jugendzentrums, für Millionen Euro renoviert, gutes Essen. Mein erster Eindruck: Hier fühlt man sich aber nicht willkommen. Keiner sprach mich an, niemand kam auf mich zu, niemand redete mit mir, kein freundlicher Blick, „closed community“. Nach einem kurzen Aufenthalt am Buffet fuhr ich wieder nach Hause, mit der Überzeugung, dass ich da nie mehr hingehe. In jedem Fitness-Studio, in jedem Geschäft werden Fremde, Neue oder Gäste freundlich empfangen. Und es war nicht so, dass man mich schlecht behandelt hätte. Es war einfach dieser Mangel an Freundlichkeit, das Desinteresse.

Ähnlich kann es heute Menschen gehen, die zufällig mal zu einem Sonntagsgottesdienst kommen. In der Regel kommt niemand auf sie zu, lächelt sie niemand an, redet niemand mit ihnen. Auch Blicke verraten sehr viel. Manchmal scheinen sie zu sagen: „Was willst du eigentlich hier?“

Wenn wir in unseren Kirchen etwas ändern wollen, dann muss ein radikaler Wandel in der Art geschehen, wie wir mit „Neuen“ umgehen.

Denn eine (!) schlechte Erfahrung genügt, damit der Besucher nie wiederkommt. Das war´s dann wohl mit Evangelisierung für die nächsten 15 Jahre…

Bei der Neuausrichtung auf die, die nicht (mehr) in die Kirche kommen, müssen Gemeinden alles nur Mögliche tun, damit sich Menschen von Anfang an wohl fühlen. Das ist keine Strategie, sondern Nächstenliebe. Stell dir vor, du kommst das erste Mal in eine neue Gruppe (Kirche, Gemeinde, Veranstaltung) und vom ersten Moment an erlebst du lächelnde Gesichter, freundliche Blicke, herzliche Aufnahme, du wirst vorgestellt, jemand kümmert sich um dich (ohne aufdringlich zu sein), interessierte Gespräche… Du fühlst dich einfach wohl. Wenn du dann nach Hause gehst, mit dem Gefühl „Das war richtig schön hier“, dann kommst du auch gerne wieder.

Sollte, müsste, muss unsere Kirche nicht so sein? Ich fasse mir selber an die Nase. Wie leicht kann es passieren, dass ich bei einer unserer Veranstaltungen lieber mit denen bin, die ich schon gut kenne, als mich wieder einem neuen Beziehung-Knüpfen auszusetzen. Und anderen geht es ebenso. Darin besteht der Kulturwandel unserer Herzen:

Wir sind nicht für uns da, sondern für die andern, für die neuen. Da gilt ein wenig das, was Jesus mit „sein Leben verlieren“ meint.

Auf der Veranstaltung einer christlichen Gemeinde traf ich vor Kurzem den Gründer einer internationalen Hotelkette, der sehr früh nach Amerika ausgewandert war. Seine Erfahrung: Der „Kunde“ entscheidet in den ersten 15 Sekunden, ob er wiederkommt oder nicht. Wie entscheidet er sich in deiner Gemeinde?

Konkret: Bei den „Rebuild“-Gottesdienst des Regnum Christi in Köln bereiten wir drei Stunden lang alles schön und intensiv vor. Jeder, der dazukommt, hat das verdient. Dori und Melanie mit ihren Teams machen das so liebevoll und schön, dass man einfach gerne da ist. 30 Minuten vor dem Gottesdienst stehen einige von uns bereit, um alle willkommen zu heißen. Wir versuchen auf sie zuzugehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, die Menschen miteinander zu verbinden usw., das gelingt nicht immer aber der Wunsch ist da. Und nach dem Gottesdienst – das beeindruckt mich am meisten – bleiben viele noch ein oder zwei Stunden da, bei Bier und Brötchen oder Glühwein und Häppchen (je nach Jahreszeit) und etwas Musik, und reden, reden, reden. Da geschieht so viel. Das sind wunderbare Momente.

Wir Priester und das ganze „Rebuild“-Team gehen dann abends, drei Stunden nach dem Gottesdienst, wenn alle gegangen sind, müde und erfüllt in die Kapelle, beten für die Teilnehmer und vertrauen sie und ihre Anliegen Gott an. Wir sind also sechs oder sieben Stunden für sie da. Aber wir denken: Jeder einzelne ist ein geliebtes Kind unseres himmlischen Vaters und verdient das. Eine Kultur der offenen Arme.

Musik als Vermittler von Botschaft und Kultur

„Wer singt, betet doppelt“ – dieser Ausspruch wird dem hl. Augustinus zugeschrieben. In der jüdischen und christlichen Musiktradition bildet das Gebet seit jeher den Ursprung des Gesangs und der Musik. Gebetstexte wie die Psalmen wurden nicht einfach sprechend rezitiert, sondern singend vorgetragen. Musik kann dabei helfen, das Gebet mit dem ganzen Herzen auszudrücken.

Pfr. Michael White – den ich in meinen Artikeln im L-Magazin zur Neuevangelisierung immer wieder zitiere –, schreibt in seinem Buch „Rebuilt“:

„Wir sagen gern, dass die Musik das Wasser ist, auf dem die Erfahrung segelt. Musik schafft das, was Worte allein nicht vermögen. Sie kann eine Dimension von Bedeutung und Gefühl ausdrücken, die Worte nicht transportieren können. Mehr als jedes andere Element des Erlebens in der Kirche ist es die Musik, die die Herzen der Menschen berühren und verändern kann.“[1]

Die große Herausforderung der Musik im Gottesdienst sind oft die Kirchenmusiker, diejenigen, die „das immer schon so machen…“. Klar, die lernen Orgel, machen den A-, B- und C-Schein, singen mit einem rrrrrrollenden R und spielen bisweilen Akkorde, die nicht wirklich reinpassen (weil sie künstlerisch „interessant“ sind), aber dem Zielgruppen-Typen gefällt leider nichts davon. (Entschuldigen Sie die Ironie, aber ich möchte, dass der Punkt klar wird).

Stellen Sie sich einmal vor, ein „normaler Mensch“, also einer, der vielleicht am Wochenende Jeans trägt, im Beruf einigermaßen erfolgreich ist, dort in Hemd und Krawatte seine Kunden betreut, zwei kleine Kinder zu Hause hat, so um die 35 ist und normalerweise Rock- oder Popmusik hört (das tun 35,9 Prozent der Deutschen) usw., kommt zu einem sonntäglichen Gottesdienst. Was für ein musikalisch-emotionales Erlebnis hat er da?

Orgel – komisch. Rollendes „R“ – komisch. Liedtexte – komisch. Melodie und Stil – komisch. Sehr vieles einfach komisch.

Hier kann – im wahrsten Sinne des Wortes – eine gewaltige Dissonanz zwischen dem traditionell-kirchlichen Musikerleben und dem Leben, der Sprache und den emotionalen Bildern der Menschen von heute entstehen. Manche Liedtexte im Gotteslob sind mehrere hundert Jahre alt, wer damit nicht groß geworden ist, findet sich darin einfach nicht wieder.

Findet er aber Texte und Musik, die einen Bezug zu seinem Leben haben, mit klaren, tiefen und relevanten Gedanken, gut gespielt von einer Gruppe oder einem Einzelnen, der Gott und den Menschen dadurch dienen möchte – ohne jeden Hang zu eitler Selbstdarstellung – sieht das schon ganz anders aus. Es gibt dann immer noch genug Hürden, die ein „Neuer“ überspringen muss. Aber diese wäre dann zumindest schon genommen.

Pfr. White hat recht: Musik ist auch heute einer der ersten und wichtigsten Träger und Vermittler von Kultur.

Daher muss die Musik einerseits Gott ehren, andererseits dem Gläubigen helfen, sein Inneres zu öffnen, sich ansprechen zu lassen, sich zu Gott zu erheben.

Bei „Rebuild“ haben wir inzwischen eine recht gute Band (Piano, E-Bass, zwei Gitarren, evtl. Schlagzeug, dazu die Sänger). Diese Besetzung sind die Menschen gewohnt. Das klingt vertraut. Das erhebt. Die Musik öffnet für Gott.

Kommt ein Mensch auf Dauer gerne in die Gemeinde (weil er sich angesprochen fühlt, die Predigt ihm etwas bringt, er sich dort wohl fühlt, die Musik in mitnimmt), dann ist ein letzter Schritt notwendig: Kleingruppe.

Veranstaltungskonsument oder Verantwortungsträger?

Manchmal beschränken wir in unserem Kopf das christliche Leben auf den Besuch des Sonntagsgottesdienstes. Aber so steht das nicht in der Heiligen Schrift. Christliches Leben ist nicht eingrenzbar, sondern durchzieht alle Bereiche des Lebens. Es muss die verschiedenen Gegebenheiten des Lebens treffen: Familie, Freundschaften, Arbeit, Freizeit, Freude, Konflikte, Erholung, Herausforderungen, Gebet, Soziales, Hobbys…

In allen lebendigen kirchlichen Gemeinden – seien sie freikirchlich, evangelikal oder katholisch – spielt die Kleingruppe eine wesentliche und unverzichtbare Rolle. In diesen kleinen Gruppen von Menschen konkretisiert sich vieles, was das christliche Leben ausmacht. Dort bilden sich Freundschaften, wächst Vertrauen, finden wir Hilfe, stellen wir uns Herausforderungen und erfahren wir „brüderliche Zurechtweisung“. Dort lebt man die Nächstenliebe. Dort entstehen Initiativen, die darauf ausgerichtet sind, andere Menschen den Glauben anzubieten…

Ich kenne zahlreiche Menschen, die sich gerne im Bereich kirchlicher Bewegungen und Veranstaltungen aufhalten, aber sich an keine binden. Manche nennen sie „Bewegungs-Hopper“. Denn sie springen (engl. „to hop“) von einer Aktivität zur anderen, von einer Gruppe zur nächsten. Je nachdem, was eben „geboten“ wird. Immer dann, wenn es langweilig, uninteressant oder herausfordernd wird, springen sie woanders hin. Dadurch könnte es sein, dass sie sich nicht wirklich mit dem Gebot der Nächsten- und Gottesliebe konfrontieren. Jedes Mal, wenn sie die Chance bekommen, im christlichen Leben zu wachsen, weil sie vor einer Schwierigkeit stehen, gehen sie der Herausforderung aus dem Weg und „hoppen“ woanders hin. Dort ist es dann wieder schön, „tut ihnen gut“ und fühlt sich gut an. Aber so werden sie um das Kreuz des christlichen Lebens gebracht. In diesem Kreuz steckt Heil, steckt Potential, ja steckt Erlösung. Diese Verhaltensweise wirft die Frage auf, ob da nicht jemand christliches Leben mit Konsum christlicher Angebote verwechselt!

Sich einer kleinen Gruppe anzuschließen und sich für diese Gruppe zu entscheiden bedeutet, sich den Herausforderungen einer Gemeinschaft zu stellen, sich in dieser einzubringen und gleichzeitig von ihr formen zu lassen. Daher sind Kleingruppen, wie immer wir sie auch bezeichnen möchten und sie geartet sind, wesentlicher Bestandteil lebendiger Gemeinden.

Kleingruppen sind der Ort, wo Menschen gemeinsam beten. Dort können sie sich öffnen; auch mit dem Müll und den Wunden, die sie in sich verborgen mittragen. In einer beständigen (!) Kleingruppe kann Vertrauen wachsen. Dort kann man sich – ähnlich wie in einer Familie – nicht so leicht aus dem Weg gehen, wenn Beziehungen mal schwierig werden. Man konfrontiert sich mit der Schwierigkeit.

Wie lassen sich heute am besten Gebet, Gesang und Musik verbinden, um das ausdrücken zu können, was Menschen mit dem Herzen vor Gott tragen wollen?

Genau darin steckt die Möglichkeit, über sich selbst hinauszuwachsen und auch dem Gegenüber die Möglichkeit dafür zu geben. Deshalb halte ich nichts von christlichem Veranstaltungs- oder Bewegungs-Hopping. Bindung an eine feste Gruppe von Menschen in einer kleinen Gruppe ist der einzige Weg, ein authentisches christliches Leben zu leben. Ist das andere nicht sehr leicht Selbstverliebtheit, Unreife oder Konsum?

„Siehe, ich mache alles neu“

Gott will seine Kirche erneuern. Sie ist immerhin die Braut Jesu. Und weil der Vater seinen Sohn über alles liebt, will er ihm eine schöne Braut geben. Daher ist es für alle, die Jesus lieben und den Vater ehren wollen, eine tiefe Herzensangelegenheit und Verantwortung, dieser Braut wieder ein Angesicht zu verleihen, das es vielen möglich macht, sie zu lieben und darin Gott als Vater und Herrn des Lebens zu finden.

Er, der auf dem Thron saß, sprach: „Seht, ich mache alles neu.“

Komm, Herr Jesus, komm.

[1] Michael White und Tom Corcoran, „REBUILD: Die Geschichte einer katholischen Pfarre“, Verlag PASTORALINNOVATION, 2016, S. 103.