Online-Magazin des Regnum Christi und der Legionäre Christi

Sakrament, Macht und Struktur

Alle Macht in der Kirche ist sakramental. Das ist ein Grundgedanke des II. Vatikanums. Das heißt: Durch die Taufe hat jeder Christ Anteil an der Vollmacht des Herrn, als Priester, Prophet und König. Macht hat in der Kirche aber Dienst zu sein. Das gilt für Priester, Laien, Mann und Frau gleichermaßen. Bei der Diskussion über die Aufteilung von Sakrament, Macht und Struktur sollte mutig eine weitere Dimension miteinbezogen werden: die Kultur. Denn ohne eine Kultur der Mission ist jegliche Strukturreform zum Scheitern verurteilt.

Die Bischöfe erhalten Kraft ihrer Weihe eine besondere Vollmacht und „An Gottes Stelle stehen sie der Herde vor, deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung“ (II. Vatikanum, Lumen Gentium, 20). Was vom Bischof gesagt wird, kann man gewissermaßen von jedem Gläubigen sagen: „Der Bischof, der vom Hausvater gesandt ist, seine Familie zu lenken, soll sich das Beispiel des guten Hirten vor Augen halten, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (vgl. Mt 20,28; Mk 10,45) und sein Leben für seine Schafe hinzugeben (vgl. Joh 10,11)“ (LG 27).

Was zur Debatte steht

Verfügbarkeit und Hinhören vorausgesetzt: Ein fruchtbarer Dialog könnte zum Beispiel sein, dass man über die Frage spricht, inwiefern man die Feier der Eucharistie, Verkündigung und Leitungsvollmacht aufteilen kann und darf. Die Leitung einer Gemeinde und Priesterweihe müssen nicht sakramental zusammenhängen. Sonst wäre jeder Priester Kraft seiner Weihe Pfarrer.

Weitergedacht: Nicht jeder geniale Prediger kann gut leiten und andersherum. Schon zu Zeiten von Benedikt XVI. wurde unterstrichen, dass die Homilie Aufgabe des Priesters, Teil der Liturgie sei, aber sogar hier dürfe es Ausnahmen geben. Bei anderen Gelegenheiten kann ein Laie sehr wohl Inhalte vermitteln, vielleicht besser als ein Priester. Oder die Gemeindeleitung: Ich wäre sehr vorsichtig zu behaupten, dass alle, die sich für eine Leitung durch Laien – Mann oder Frau – aussprechen, Revoluzzer seien, die die Kirche zerstören wollten.

Ein Beispiel aus unserer Gemeinschaft: Wir stehen als Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi in einer Föderation mit der Apostolatsbewegung Regnum Christi. Ein Mitbruder aus Santiago de Chile schilderte mir, dass es dort sechs Schulen gebe – drei davon für Straßenkinder und Kinder aus armen Verhältnissen –, eine Universität mit 8.000 Studenten, Jugendzentren und ein Einkehrtag-Zentrum. Unsere Arbeit in dieser Stadt teilt sich in zwei Regionen auf. Die beiden Lokaldirektoren sind Laien – und Frauen. Der Priester untersteht in seiner pastoralen Tätigkeit also einem Laien. Das ist manchmal kompliziert und herausfordernd, weil der Priester auch einen Ordensoberen hat oder sogar selbst Oberer ist, aber ein Problem ist das nicht. Im Gegenteil, es kann extrem bereichernd sein.

Vielerorts wird über größere Pfarreinheiten nachgedacht oder werden diese umgesetzt, um Pfarrer für den eigentlichen priesterlichen und sakramentalen Dienst freizuschaufeln. Die größere Struktur ermöglicht die Besetzung der Pfarrgemeinde-Leitung mit Menschen, die diesen Dienst vielleicht besser erfüllen können als der ehemalige Pfarrer. Da sollte es nicht so sehr darum gehen, ob das ein Mann oder eine Frau ist, sondern darum, wer dafür geeignet ist. Ein Beispiel, wo das funktioniert, ist in meiner Heimat in Kanada, im Missionsgebiet Yukon und nördliches British Columbia. Ein Gebiet so groß wie Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen, mit 15 Priestern und einem Bischof. Laien leiten viele Gemeinden, weil es dort keine Priester gibt oder diese nur ein- oder zweimal im Jahr auftauchen können.

Warum nicht gleich weiterdenken? Im gesamtkirchlichen Kontext: Warum sollte es zum Beispiel nicht auch Frauen als Kardinäle geben? Das hätte derzeit kirchenrechtliche, aber keine prinzipiell theologischen Hürden. Denn prinzipiell ist die Kardinalswürde ein Titel und nicht zwingend gebunden an das Weihesakrament. Natürlich hängt das von der Funktion ab, die man diesem Kollegium geben will. Aber als Beratungsgremium des Papstes könnte es der Kirche guttun, wenn Frauen dabei wären.

Sakramentale Grundstruktur

Wir brauchen die Priester. Eine Strukturreform, die sie abschaffen will, ist nicht mehr Kirche. Aber ich glaube auch, dass es gefährlich ist, an Kirchenbildern festzuhalten, die nicht dem Wesen der Kirche entsprechen. Priesterinnen sind theologisch und glaubenstechnisch nicht möglich, auch für das Amt des Pfarrers muss ein Gläubiger die Priesterweihe empfangen haben (vgl. Instruktion der Kleruskongregation „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“, veröffentlicht 2020, Nr. 66). Unter „problematischen pastoralen Umständen“ können jedoch auch Laien an der Ausübung der Hirtensorge einer Pfarrei beteiligt werden, „um das christliche Leben zu stützen und um die missionarische Sendung der Gemeinde fortzusetzen“ (ebd. Nr. 87). Ersteres hat mit dem Sakrament der Weihe zu tun, das Zweite mit der Leitungsgewalt, die vom Bischof übertragen wird.

Gott ist ein Künstler, der es liebt, mit Wirklichkeiten zu schreiben, wofür wir Worte brauchen. Wasser. Wein. Brot. Öl. Die sakramentalen Zeichen triefen vor tieferen Bedeutungen. Und wenn der Mann, Christus als neuer Adam und Bräutigam, sich am Kreuz seiner Braut, der neuen Eva, der Kirche, repräsentiert durch Maria am Fuß des Kreuzes, schenkt (Eph 5,25; Joh 19,25-27), dann ist das aber nicht nur mehr Symbolik, sondern Wirklichkeit. Manche würden die Archetypen von Carl Gustav Jung nicht als Phantasmen, sondern als tiefste Wirklichkeit überhaupt einstufen. Manch Schüler von ihm, wie zum Beispiel der Psychologe Jordan Peterson, versteht die großen Geschichten der Welt, die sich über Jahrtausende erhalten haben oder immer wieder auftauchen, in ihren Grundelementen als die Wirklichkeit schlechthin. Ferner wäre das Untergraben der Grundelemente dieser Geschichten im wirklichen Leben ein Rezept für Chaos und Desaster.

Der Christ würde diesen Gedanken von Jung und auch Peterson in Bezug auf Jesus Christus bejahen. Denn „ALLES ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“ (Kol 1,16). Der Christ würde die Jesusgeschichte als die Geschichte aller Geschichten betrachten. Die Geschichte, die nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern auf die hin die gesamte Wirklichkeit ausgerichtet und geschaffen ist. Das Weihesakrament ist das Ermöglichen der Übertragung dieser Geschichte durch die Zeit hindurch. Der Priester steht im Namen von Jesus Christus körperlich als Mann da und vergegenwärtigt in seinem Namen die Kreuzeshingabe in der Zeit: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19).

Die Kirche ist überzeugt, dass ein Rütteln an diesem göttlichen Kunstwerk verantwortungslos und gefährlich ist. Unendlich viel gefährlicher als das Rütteln an den Grundelementen einer archetypischen Geschichte wie zum Beispiel dem Kampf gegen einen Drachen, der für das Ausbrechen ins Unbewusste und noch nicht Erforschte steht, welches die Entwicklung der Freiheit und Verantwortung eines Menschen verlangt. Es bedarf eines Höchstmaßes an Arroganz oder Ignoranz zu glauben, man „könne die Grundstruktur der Wirklichkeit verdrehen und nicht den Preis dafür zahlen“ (Jordan Peterson). Aber nicht, weil Gott ein Tyrann ist, der unser Leben miserabel machen will und uns Dinge vorenthält, die uns zustehen. Sondern, weil er ein Vater ist, der uns liebt und uns helfen will, Leben und Sinn zu finden.

Warum das Sakrament der Weihe an Männer gebunden ist, die Antwort auf diese Frage füllt Bände. Ich wollte hier nur einen Grund nennen und damit unterstreichen, dass es überhaupt Gründe gibt. Das hat gar nichts mit Willkür oder gar Ablehnung der Frauen oder Diskriminierung zu tun. Muttersein ist auch keine Diskriminierung von Männern. Es geht um die Nicht-Manipulierbarkeit der Wirklichkeit und die Treue zum Jesuswort.

Weihevollmacht und Leitungsgewalt

Anderseits möchte ich unterstreichen, dass man aufpassen muss, nicht gleich den Weltuntergang vorauszusehen, weil Laien – Männer und Frauen – in der Kirche Verantwortung für Bereiche übernehmen, die vor 50 Jahren ausschließlich von Priestern besetzt wurden.

Die Vollmacht in der Kirche hat ihre letzte Quelle in Christus selbst. Man kann diese Teilnahme an der einen Vollmacht des Herrn in zwei Ausdrucksweisen unterscheiden. Da ist zum einem die Weihevollmacht. Sie wird durch die Weihe konferiert und hat als Ziel die Heiligung und das Heil des Volkes Gottes mittels der Feier der Sakramente und der Sakramentalien.

Da ist zum anderem die Jurisdiktionsvollmacht. Im Kirchenrecht werden Leitungsgewalt und Jurisdiktionsgewalt gleichgesetzt (CIC 129). Es geht um die Vollmacht zur Leitung der Mitglieder der Kirche (Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung). An Letzterem können die Laien nach Maßgabe des Rechtes mitwirken. Diese Bereiche sind noch relativ klein, aber vom Prinzip her kann sie der Rechtgeber (Papst, Bischöfe) ausweiten. Darüber zu reflektieren ist sinnvoll. Wichtig dabei bleibt: Es geht bei jeglicher Vollmacht immer um Dienst. Weihevollmacht ist nicht dazu da, um eine unberührbare Kaste zu schaffen, die für sich selbst lebt und sich von den Menschen beweihräuchern lässt. Leitungsvollmacht ebenso. Es geht bei beiden um dienende Leiterschaft, egal ob Priester oder Laie, Mann oder Frau. Und das bedarf einer gesunden Dosis an Demut, Charakter, Aufrichtigkeit und Liebe für den Herrn und die Mitmenschen.

Strukturreform und missionarische Kultur

Bei der Diskussion über die Aufteilung Sakrament-Macht-Struktur wünsche ich mir das Miteinbeziehen einer weiteren Dimension – die der Kultur. Ich glaube nämlich, dass die größte Herausforderung der Kirche in der Veränderung ihrer Kultur besteht. Und dass die Kulturdebatte geführt gehört, bevor wir uns allzu viel über anderes austauschen. Die Kultur drückt sich aus durch die Werte, die in einer Organisation gelebt werden. Also nicht die, die zu leben wünschenswert wären oder die man sich vormacht zu leben. Die Kultur prägt so ziemlich alles in einer Organisation. Man kann die besten Strategien haben, aber wenn die Kultur giftig ist, ist die Strategie unbrauchbar. „Die Kultur verspeist die Strategie zum Frühstück“ (John Maxwell). Wenn die Kultur gesund ist, wird sie sich Strukturen schaffen, die diese Gesundheit widerspiegeln. Wenn sie ungesund ist, dann werden Strukturen dysfunktional.

Die Kultur kann nur dann gesund sein, wenn sie im Einklang mit dem Daseinsgrund der Organisation steht. Daher muss jegliche Strukturreform diesem Daseinsgrund dienen, nicht umgekehrt. Das ist bei der Kirche nicht anders. Die Kirche besteht, „um Jünger zu machen“, sodass die Menschen „in ihm das Leben haben“ und „in Fülle haben“ (Joh 3,16; 10,10). „Geht in die ganze Welt hinaus und macht alle zu meinen Jüngern.“ Das hat bei uns allerdings vor ein paar hundert Jahren aufgehört. Wir müssen nicht mehr hinausgehen. Wohin denn? Jeder Quadratzentimeter dieses Landes ist einer Pfarrgemeinde zugeordnet. Seit Hunderten Jahren sind die Leiter unserer Pfarren vor allem Hirten und Lehrer, aber da sind wenige Evangelisten, Apostel und Propheten (im Sinne von Eph 4,11). Die sind, wenn überhaupt, in den Orden und seit dem Konzil in die Bewegungen abgewandert. Sogar der Begriff „Mission“ war lange ein Unwort. Ein Wert, der unsere Kultur prägt, ist er sicherlich nicht. Und unsere Strukturen prägt er daher schon gar nicht.

Hirten und Lehrer kümmern sich um Bestehendes, sie bemühen sich ums Bewahren. Das ist grundsätzlich nicht schlecht. Aber es gibt immer weniger, was noch besteht. Gut, die Strukturen schon. Nur die Menschen laufen uns davon, vor allem die jungen. Es ist die Not der Stunde, auch Apostel und Evangelisten in unsere Strukturen einzubinden. Wir müssen ihnen Raum schenken, sie befähigen und bevollmächtigen. Sogar bevollmächtigen, Strukturen zu schaffen, die vielmehr der Mission als der Bewahrung dienen. Da ist es relativ egal, ob der Evangelist oder der Apostel als Mann oder Frau vor unserer pastoralen Tür steht. Aber solange wir uns nicht von „Propheten“ aufrütteln lassen und „Apostelsein“ und „Evangelisation“ keinen Platz in unserem Wertekatalog erhalten, werden wir uns weiterhin mit Strukturen beschäftigen, deren Aufgabe darin besteht, den Untergang zu verwalten. Oder anders gesagt: Ohne eine Kultur der Mission ist jegliche Strukturreform zum Scheitern verurteilt.

Eine Strukturreform bedarf des Mutes. Und manchmal einer Krise. Von Letzterer kann unsere Gemeinschaft ein Lied singen. Es brauchte einiges an Erschütterung, damit genügend Mut zum Tragen kommen konnte, um Dinge anzupacken. Unsere Gemeinschaft musste umstrukturieren. Allein schon deswegen, weil das manipulative System des Gründers unmöglich gemacht werden musste.

Ich wünsche mir sehr viel Mut für uns alle. Vor allem, um eine Kultur aufzubauen, in der uns die Menschen, die nicht mehr durch unsere Kirchentüren gehen, wirklich wichtig sind. Dass eine solche Kultur uns dazu führt, Strukturen zu schaffen, die uns helfen, „die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf dem Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung voranzuschreiten, der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind. Jetzt dient uns nicht eine ‚reine Verwaltungsarbeit‘. Versetzen wir uns in allen Regionen der Erde in einen ‚Zustand permanenter Mission‘“ (Papst Franziskus, Evangelii Gaudium, 25).

Abschlussgedanken

„Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ Ich hoffe sehr, dass wir das bei allen Überlegungen über Machtverteilung, Sakrament und Strukturreformen nicht aus den Augen verlieren. Es muss uns um den Dienst am Herrn und an den Mitmenschen gehen, nicht um Machtkampf. Ich hoffe sehr, dass wir im Gespräch bleiben, miteinander um die Wahrheit, die ER ist, ringen und uns gegenseitig ermahnen, ermutigen und inspirieren. Ich hoffe sehr, dass wir mit Maria ein offenes Herz bewahren, von ihr lernen, unterscheiden zu können, „was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,7). Dass wir mit den Aposteln um sie herum versammelt, im gemeinsamen Gebet das Kommen eines neuen Pfingsten erwarten dürfen. Maria, Mutter der Kirche, bitte für uns!

Pater George Elsbett LC