Online-Magazin des Regnum Christi und der Legionäre Christi

Not macht erfinderisch – wirklich?

Craig Groeschel ist Leiter einer Kirchengemeinde in den USA. Im Februar sprach er auf einem christlichen Leiterkongress in Karlsruhe. Komisches Thema: „Vom Wert der Begrenzung“. Er sagte ungefähr folgendes: „Je weniger Möglichkeiten man hat, desto besser. Denn dann wird man kreativ.“

Klang für mich eigentlich falsch. Man würde doch denken: Je mehr Möglichkeiten ich habe, desto kreativer kann ich sein. Aber Craig Groeschel, Pastor einer evangelischen Freikirche, die Sonntag für Sonntag fast 20.000 Menschen frequentieren, hat die Erfahrung gemacht: Wenn ich mich innerhalb enger Grenzen aufhalten muss, dann werde ich viel kreativer. Begrenzungen stimulieren die Phantasie, wecken lösungsorientiertes Denken. Auf gut deutsch „Not macht erfinderisch“.

Corona hat deutlich gezeigt: Not macht erfinderisch – oder lethargisch.

Leider habe ich die vergangenen Wochen in Kreisen frommer Christen erlebt, dass nicht gerade wenige enttäuscht sind; manche sogar richtig wütend!

Sie fragen: Wo war die Kirche in dieser Zeit? Warum hat sie im „vorauseilenden Gehorsam“ dichtgemacht? Warum hat sie so wenig für uns, für den Gottesdienst, für das Wohlergehen der Seelen gekämpft. Warum hat sie sich nichts einfallen lassen?

Ja, manche machte die Not lethargisch. Und sie haben sich zurückgezogen.

Mir kamen in diesen Gesprächen unwillkürlich die Bibelstellen des Alten Testaments in den Sinn. Ezechiel schreibt die Worte Gottes auf:

„Das Wort des HERRN erging an mich: Menschensohn, sprich als Prophet gegen die Hirten…, sprich als Prophet und sag zu ihnen, den Hirten: So spricht GOTT, der Herr: Weh den Hirten…, die sich selbst geweidet haben! Müssen die Hirten nicht die Schafe weiden? …Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt, das Kranke habt ihr nicht geheilt, das Verletzte habt ihr nicht verbunden, das Vertriebene habt ihr nicht zurückgeholt, das Verlorene habt ihr nicht gesucht… Meine Schafe irren auf allen Bergen und auf jedem hohen Hügel umher und über die ganze Erdoberfläche sind meine Schafe zerstreut. Doch da ist keiner, der fragt, und da ist keiner, der auf die Suche geht“ (34,1-6).

Viele Menschen sind enttäuscht von ihrer Kirche, weil sie das Gefühl haben, ihr Hirte hat sie im Stich gelassen; hat in der Corona-Zeit sich selber geweidet, aber nicht die Schafe. Was immer an diesem Gefühl dran sein mag, das „Volk Gottes“ hat ein feines Gespür.

Sicher ist, es gab und gibt auch die Hirten, die sich für ihre Herde einsetzen, die jedem – in noch so großer Not – nachgehen und suchen beizustehen. Beeindruckend ist das heldenhafte Beispiel mehrerer italienischer Priester, die ihre Atemmasken in der Hochinfektionszeit jüngeren Menschen überlassen haben und dann gestorben sind. Oder Priester, die jene zu Grabe trugen, die einsam verstarben. Das sind echte Hirten, die das Leben für die Schafe geben.

Auch die gibt und gab es – Gott sei Dank. In diesen Wochen haben die Gläubigen mit großer Deutlichkeit erfahren, wie weit ihre Hirten für sie zu gehen bereit sind.

Ich habe mir während Corona auch die Frage gestellt, ob ich es mir zu einfach mache. Und sicher muss ich eines Tages vor Gott die Antwort geben.

„Not macht erfinderisch“ – so ging es auch mir und den meisten meiner Mitbrüder in den letzten Wochen. Ich möchte Ihnen ein wenig davon erzählen. P. Karl Mauer zum Beispiel: Der hatte Anfang April geistliche Exerzitien für Frauen geplant. Wie jedes Jahr. Aber durch Corona mussten sie abgesagt werden. Das war eine echte Begrenzung. Aber die kann ja, wie wir wissen, erfinderisch machen. Auf die Begrenzung hätte auch ein „dann lassen wir es eben“ folgen können. Und ich fürchte, dass das in unserer Kirche in den Corona-Monaten so manchem Kirchenleiter passiert ist. Ist ja auch einfacher.

Aber P. Karl – seit 30 Jahren Legionär Christi – wollte „bei seinen Schafen“ sein. So sagte er sich: Ich nehme die Impulse einfach auf. Die können sich die Frauen dann untertags anhören. Und abends halten wir eine Zoom-Konferenz. Da können die Frauen Fragen stellen und wir sind doch ein wenig zusammen, auch wenn wir auseinander sind. So kann ich mit den Frauen der Frauenexerzitien sein, ohne örtlich dort zu sein.

Gesagt, getan. Unsere Mini-Bibliothek wurde kurzerhand umfunktioniert, mit einem Tisch ausgestattet, ein paar Lichter aufgestellt. Ein Mikro war irgendwo zu finden, und ein Smartphone tat das seine. So entstanden die ersten Vorträge.

Und jetzt kommt’s: Statt 25, wie das die letzten Jahre immer ungefähr war, nahmen 170 Frauen (und auch ein paar Männer) an diesen Exerzitien teil. Wow.

Not macht erfinderisch. Und Gott scheint es zu segnen.

Anderes Beispiel: P. Paul Habsburg hält seit vielen Jahren Einkehrtage für Ehepaare. Auch Ende April waren solche geplant. Doch aufgrund Corona keine Chance. Soll dieser Einkehrtag nun gerade in dieser schwierigen Zeit für viele Familien und Ehepaare ausfallen? P. Paul installierte „Zoom“ auf seinem Telefon [eine kostenlose Software für Videokonferenzen, Anm. d. Red.] und lud die Ehepaare zum Livestream ein. Die wiederum luden andere ein und die wieder andere, über SMS und WhatsApp. Für den Livestream verteilte P. Paul den ganzen Einkehrtag kurzerhand auf zwei Abende. Im Vorfeld versandte er über das Internet seine Eingangsfragen zum Thema Beziehung und Ehe. Medial verbreitete sich das wie ein Lauffeuer. Und dann waren über 800 Menschen, also ca. 400 Paare mit dabei bei diesen Ehe-Impulsen. Und viele haben sehr davon profitiert. Lesen Sie dazu auch unseren Artikel hier im Magazin (Seite 9).

Not kann erfinderisch machen. Wenn man will. Und macht.

Die Freude war groß: Am 7. Juni konnte P. Klaus die erste Open-Air-Messe nach dem Corona-Lockdown in Köln feiern. Im Freien fand dort im Garten der Schwestern der „Mägde Mariens der Unbefleckten Empfängnis“ endlich wieder ein REBUILD-Gottesdienst statt.

Meine persönliche Erfahrung im ApostelHaus des Regnum Christi in Ratingen war ebenfalls beeindruckend. Nie zuvor hatte es eine Zeit gegeben, in der flächendeckend keinerlei öffentliche Gottesdienste stattfinden durften. Was nun? Präzedenzfälle – Fehlanzeige. Zeit, um uns auf diese Situation vorzubereiten? Nein! Von einem Sonntag auf den anderen musste eine Lösung her. Denn ein was war uns klar: Die hl. Messe einfach ausfallen lassen, das geht nicht!

Als erstes musste unser YouTube-Kanal, der bis dahin so vor sich hindümpelte, wachsen, damit wir live und mobil übertragen können, und zwar auf über 1.000 Abonnenten. Die Resonanz in den sozialen Netzwerken war gewaltig: Innerhalb von 24 Stunden sprach sich alles herum und der Kanal wuchs auf über 1.500 Abonnenten an. Die erste gestreamte Messe war noch in schlechter Bild-Qualität. Aber der Anfang war gemacht und die Rückmeldungen ermutigten uns weiterzumachen.

Am Ende einer der ersten hl. Messen sprach ich darüber auf YouTube zu den mitfeiernden Zuschauern: „Wir würden das alles gerne viel besser machen, aber dazu brauchen wir eure Hilfe. Wer mithelfen möchte, dass unsere Technik besser wird, kann gerne spenden.“

► YouTube-Kanal des ApostelHauses in Ratingen
► YouTube-Kanal des Regnum Christi (deutsch)
► YouTube-Kanal des Zentrums Johannes Paul II. in Wien

Und hier kommt es: Innerhalb von vier Tagen hatten wir die nötige Summe für die Erstausrüstung beisammen. Und innerhalb von zwei Wochen war die Streaming-Technik vollständig: Kamera, Objektiv, Licht, Mikros, Kabel, Empfänger usw. Hunderte Menschen konnten von da an jeden Tag – wenigstens medial – an einem Gottesdienst teilnehmen. Was natürlich kein Ersatz für den realpräsenten Gottesdienst ist, aber immerhin. Not macht erfinderisch.

Es kommt immer darauf an, ob man sich der Not ergibt oder nach Lösungen sucht. Es kommt irgendwie darauf an, ob man in sich ein Hirtenherz trägt oder ein Angestellter ist. Jesus wusste es schon sehr gut.

„Der bezahlte Knecht, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich gebe mein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11ff).

Ich möchte noch ein paar Beispiele nennen: P. Martin Baranowski wollte eigentlich zu den Kartagen vor Ostern Besinnungstage für Jugendliche abhalten. Absagen war angesagt. Online nahmen letztlich über 300 Menschen daran teil. Die Jugend! Initiativen wir Parkplatz-Gottesdienste, Drive-in-Beichten und -Segnungen. Ideen über Ideen.

Meine Erfahrung: Die Menschen spüren, ob die Priester ein Hirtenherz haben oder nicht. Mir ist in diesen Wochen so klargeworden, dass es für alles Lösungen gibt. Man muss sie nur suchen. Not kann so erfinderisch machen. Und die Menschen sind so dankbar.

Noch eines viel mir in diesen Wochen sehr stark auf: Die Gläubigen suchen nach Hirten, nach Zeugen, die zu ihnen gehen, mit ihnen gehen, manchmal auch vorangehen, ihnen den Weg weisen und für sie einstehen. Das ist keine Frage der „Demokratie“ in der Kirche.

Gott uns Priester eine besondere Hirtenverantwortung anvertraut. Die ist nicht delegierbar. Das haben diese Wochen auch sehr deutlich gezeigt. Denn wenn die Hirten ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, dann fühlen sich die Menschen wie Schafe, die keine Hirten haben.

„Jesus zog durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen, verkündetet das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden. Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bitte also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Mt 9, 36-38).

In diesem Sinne wünsche ich uns allen auch in den nächsten Wochen und Monaten – mit oder ohne Corona – viel Mut, Verbundenheit, Kreativität und Gottvertrauen!

Pater Klaus Einsle LC